Isabella Straub

Der Female Gaze ist ein Human Gaze.

Das ist Isabella Straub:

Eine waschechte Wienerin, die in diesem Jahr (2024) die Stadtschreiberin der Hansestadt Hamburg war.

Ich lernte Isabella in der Galerie der Gegenwart bei einer gemeinsamen Lesung mit den Fantastischen Teens unter der Moderation von Linda Zervakis kennen.

Isabella Straub war so freundlich  für sich und ihre Arbeit  die Perspektive des FEMALE GAZE einzunehmen.

  1. Was bedeutet für dich der Female Gaze?

Ein interessanter Begriff. Inwieweit unterscheidet sich der weibliche vom männlichen Blick? Und tut er das von Beginn an oder ist er das Ergebnis von Sozialisation? Ich bin ja davon überzeugt, dass alle menschlichen Wesen, egal welchen Geschlechts, mehr eint als trennt. Andererseits glaube ich, dass das Subjekt, zu dem man „ich“ sagt, sich im Laufe des Lebens mehrmals – um nicht zu sagen: ständig – neu zusammensetzt. Ich bin nicht dieselbe, die ich vor fünf Jahren war, die sich wiederum von der unterscheidet, die ich vor zwanzig Jahren war. Die Bücher, die ich vor zehn Jahren geschrieben habe, würde ich heute nicht mehr so schreiben. Mehr noch: Ich habe damit nichts mehr zu tun. Ganz nach Rimbaud: „Ich ist ein anderer“.
Das bedeutet auch, dass mein Blick vor zehn Jahren ein anderer war als er es heute ist. Das, was ich damals wahrgenommen habe, gilt heute nicht mehr in derselben Weise. So ist auch weibliche Blick ein ständig sich neu zusammensetzender, der sich aus Erfahrungen, Wertvorstellungen und -urteilen, Erinnerungen und dem kollektiven Unbewussten speist.    

2. Wer hat dich und deine literarische Arbeit geprägt?

Ganz am Anfang meines Schreibens stand Zeruya Shalevs Roman „Liebesleben“. Das war wie eine Epiphanie. Mein Ex hat mir das Buch vor vielen Jahren zu Weihnachten geschenkt, das weiß ich noch. Ich erinnere mich an das Erstaunen, das mich erfasst hat beim Lesen dieser sprudelnden, melodiösen Prosa. Was für Sätze! Was für ungewöhnliche Bilder! Das ist natürlich auch der wunderbaren Übersetzung aus dem Hebräischen von Miriam Pressler geschuldet, die leider nicht mehr lebt. Sie sagte dazu: „Beim Übersetzen komme ich mir vor wie ein Musiker, der eine fremde Komposition interpretiert. Für mich ist das Übersetzen nicht nur eine der schönsten, sondern auch eine der wichtigsten Tätigkeiten, die es gibt. Übersetzte Texte können Aufgaben übernehmen, die die eigene Literatur nicht leisten kann. Bücher aus fremden Literaturen bauen Fremdheiten ab, wir erweitern durch sie unseren – nicht nur literarischen – Horizont.“ Seit Pressler (die auch Autorin war) nicht mehr übersetzt, ist Shalev für mich unlesbar geworden. Daran sieht man auch, welchen nicht zu überschätzenden Wert ÜbersetzerInnen haben.
Die Bücher, die mich heute faszinieren, sind die, die nicht die Welt verdoppeln, in der wir leben, sondern jene, die mir eine vollkommen andere Welt zeigen, durch die ich unsere Welt besser verstehen kann. Im Moment sind das etwa die Stories des US-Amerikaners George Saunders oder die Romane des rumänischen Autors Mircea Cărtărescu. Am meisten gelernt übers Dialog-Schreiben habe ich übrigens von Miranda July.

©Unsplash


3. Kann der Female Gaze auch von Männern eingenommen werden?

Die Frage ist doch: Kann irgendwer den Blick einer/eines anderen einnehmen? Ich z.B. versuche, den Male Gaze nachzuvollziehen, wenn ich aus der Perspektive eines Mannes schreibe. Dasselbe wird auch passieren, wenn ein männlicher Autor aus Frauenperspektive schreibt. Also: Ja, der Female Gaze kann auch von Männern eingenommen werden.

4. Könnten deine Texte auch von einem Mann geschrieben werden?

Ich glaube grundsätzlich nicht, dass ein Text von jemand anderem als der Autorin/dem Autor geschrieben werden kann.

5. Was wäre das erste, was du als Bundeskanzlerin veranlassen würdest?

Bezahlbaren Wohnraum mit Spezialförderungen für Wohn-Experimente.

6. Wie erlebst du das Thema Familienplanung als Autorin?

Das ist bei mir ja schon lange her. Und es war nicht einfach. Schreibzeit war gestohlene Zeit. Viele Angebote für AutorInnen, vor allem Residenzen, hätte ich nicht wahrnehmen können, die waren für mich als Alleinerzieherin völlig Out of reach. Schön finde ich daher, dass es heute Initiativen gibt wie „Other writers need to concentrate – Netzwerk schreiben & care“, die u.a. spezifische Angebote für AutorInnen mit Kindern auflisten und Bewusstsein schaffen.

7. Reagieren Männer und Frauen unterschiedlich auf deine Texte? Wenn ja, wie?

Jede/r mit seinem Blick. Ein Mann hat mir mal gesagt, dass ich die Männerperspektive so realistisch geschildert habe. Das hat mich sehr gefreut. Weil es ja auch zeigt, dass der Female Gaze ein Human Gaze ist.

8. Was wir über dich wissen müssen…

Ich habe das Stricken wiederentdeckt. Sehr meditativ!

9. Was schließt der Literaturbegriff für dich ein – was schließt er aus?

Eine Frage der Intention. Glückskekssprüche und Beipackzettel würde ich jetzt nicht als Literatur bezeichnen, wenn aber etwa AutorInnen sie konzipieren, dann werden sie zu solcher. Natürlich nicht immer und notwendigerweise – was ich meine ist, dass die Gattung letztlich unerheblich ist. Ich denke dabei etwa an die literarischen „Bergdoktor“-Heftchen von Marlene Streeruwitz oder an Clemens Setz, der gerade bei Suhrkamp seine Twitter-Gedichte veröffentlicht hat („Das All im eignen Fell“).

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10. Gibt es genderspezifische Aspekte in deinen Texten?

Ich denke schon. Im Grund genommen geht es in Geschichten immer um Verwandlung. Etwas verwandelt sich von einer Form in eine andere. In meinem letzten Romanprojekt hatte ich als Protagonistin u.a. eine 63jährige Hausmeisterin; eine Frau, mit der mich oberflächlich nicht viel verbindet. Beim Schreiben merkte ich dann, wie wichtig es war für sie, sich zu verwandeln, eine anderen zu werden. Das hört doch nie auf! Wir sind nie „fertig“, wir haben uns nie genug verwandelt. Ich habe mir quasi mein eigenes Role Model erschrieben. Denn wir Frauen haben nicht viele Vorbilder, die uns zeigen, wie man gut und frei altert. Das ist ein Thema, das mich fasziniert.


11. Beschreibe deinen literarischen Schaffensprozess…

Hinsetzen, Laptop einschalten, sitzenbleiben. Dazwischen: Inspiration einholen. Meine größte Quelle dafür ist die zeitgenössische bildende Kunst.


12. Als Stadtschreiberin für Hamburg hast du einen frischen und unverbrauchten Blick auf die Stadt. Was fällt dir auf?
Hintergrund – Recherche des FEMLE GAZE:
Gerade in Wien wurde in den letzten zwanzig Jahren die Stadt nach feministischen Gesichtspunkten geplant.
Hierbei geht es unter anderem um kurze Wege, breite Gehsteige, flexible Grundrisse für Wohnungen und die Nutzung von Parks. Städte sind meist an dem Modell: Mann fährt mit dem Auto zur Arbeit, muss bequem und einfach dorthin kommen. An alle anderen, die in der Stadt den Alltag gestalten, egal ob Mann oder Frau, wurde nicht gedacht. Dementsprechend sind die Gehsteige zu schmal für einen Kinderwagen, einen Erwachsenen, der diesen schiebt und dem älteren Kind, das an der Hand läuft.

Frage: Welche Note würdest du Hamburg aus weiblicher Perspektive geben? Und warum?

Antwort von Isabella Straub: Ich verfolgte die zeitgenössische Baukultur mit großem Interesse. Das Wiener Architekturzentrum AZW ist da sehr gut aufgestellt und zeigt regelmäßig die PreisträgerInnen großer Wettbewerbe, etwa des „Mies van der Rohe Awards“. Man wird mitunter den Eindruck nicht los, von feindlicher, kommunikationszerstörender Architektur umgeben zu sein, die Begegnung nicht fördert, sondern aktiv verhindert. Da tut es gut, Alternativen zu sehen.
Wenn ich zurückdenke an Hamburg, dann habe ich eins vor Augen: grün. Der Blick in Baumkronen. Die vielen Alleen und Parks.

Isabella Straub in Hamburg


Erst kürzlich habe ich ein aufschlussreichse Sachbuch gelesen: „Psychogeographie – Wie die Umgebung unser Verhalten und unsere Entscheidungen beeinflusst“. Autor und Neurowissenschaftler Colin Ellard führt den Erholungseffekt, der dadurch entsteht, dass wir auf Grün schauen, auf die fraktalen Eigenschaften der Natur zurück, auf ihre Selbstähnlichkeit. Durch einen Naturraum bewegen wir uns „unwillkürlich aufmerksam“, unser Nervensystem kann sich beruhigen, während wir in einer Stadt ständig selektiv aufmerksam sein müssen, um Gefahren schnell zu erkennen.

In Hamburg habe ich in der Nähe einer stark befahrenen Kreuzung gewohnt, an der sich drei Straßen gekreuzt haben. Wollte man auf die andere Seite, musste man mehrere Fahrbahnen mit kurz geschalteten Ampeln und unterschiedlich verlaufende Fahrradwege überqueren. Ich erinnere mich an ein Schild, das diese Kreuzung „als eine der gefährlichsten Kreuzungen für sehbehinderte Menschen überhaupt“ ausgewiesen hat. Es war tatsächlich so, dass man auch als Sehende/r extrem aufpassen musste, nichts und niemanden zu übersehen. Das ist es, was in einer städtischen Umgebung Stress erzeugt. Und dann gab es da noch den Blick aus der Wohnung auf Laubbäume. Das genaue Gegenteil.


Hamburg würde aus meiner weiblichen Sicht eine sehr gute Note von mir erhalten. Nie habe ich mich unsicher gefühlt. Ich finde die Lebensräume in der Stadt wunderbar abwechslungsreich: Grün, Wasser, alt, neu. Und, was mir wichtig ist: Es gibt zahlreiche Aufenthalts- und Arbeitszonen ohne Konsumzwang wie die Bücherhallen, die Staatsbibliothek, den Freiraum im Museum für Kunst und Gewerbe, den Kreativplaneten Jupiter etc. Auch das ist Lebens- und Aufenthaltsqualität.  

Isabella Straub liest am Elbstrand zu „Dichter an der Elbe“. Ein Lesungs-Format des Writers Room. Fotocredit: Hartmut Pospiech

Vielen Dank, liebe Isabella, dass du den FEMALE GAZE über dich und deine Arbeit für uns eingenommen hast.

Und… am 24.02.2025 erscheint Isabella Straubs neuer Roman:

Nullzone

Zudem liefert Isabella  Creative Writing-Häppchen direkt auf euren Bildschirm, live und in Farbe. Mini-Workshops, die sich „Textsushi Brunch“, „Textsushi Takeaway“ oder „Running Textsushi“ nennen. Für den größeren Schreibhunger wird es Textsushi-Rollen und Bento-Boxen geben.

Wer direkt Appetit bekommt, der möge sich bei Isabella per PN über ihr Instagram-Profil: @isabella_straub für ihren Newsletter anmelden.

Mehr über Isabella erfahrt ihr auf ihrer Website: Isabella Straub.

Claudia Christoffel

Ich als Künstlerin bin also -ob ich will oder nicht – zurzeit eine Nebenwirkung in der Kunstgeschichte.

Das ist Claudia Christoffel:

Geboren in Lübeck. Lebt in Bremen.

Claudia nimmt für sich und ihre Arbeit durch 11 Fragen die Perspektive des FEMALE GAZE ein.

  1. Was bedeutet für dich der Female Gaze?

Female Gaze bedeutet für mich, ein weiblicher Blick auf die Welt. Das kann bedeuten, dass Frauen im Mittelpunkt der Erzählung, des Films oder des Kunstwerks stehen und wie handelnde Subjekte agieren. Im Gegensatz dazu stellt der Male Gaze nach Laura Mulvey Frauen ausschließlich als potentielle sexuelle Partnerinnen und Objekte des männlichen Vergnügens dar.

2. Wer hat dich in deiner Kunst geprägt?

Valie Export mit ihrer „Aktionshose Genitalpanik“ von 1968 hat mich als Kunststudentin sehr beeindruckt. Später habe ich sie auch einmal in einem performativen Künstleringespräch erleben dürfen. Das war großartig. Ähnlich ging es mir mit den Arbeiten von Tracey Emin und Sarah Lucas. Alle drei Künstlerinnen durchbrechen mit ihren Arbeiten weibliche Rollenklischees. Das empfand ich als sehr befreiend.

(Und): Jenny Holzer hinsichtlich des Gebrauchs von Schrift in der Kunst.

3. Kann der Female Gaze auch von Männern eingenommen werden?

Ich denke schon. Es braucht dafür Kunstwerke, Filme und Literatur, welche den Female Gaze für Männer erfahrbar machen.

4. Könnte dein Werk auch von einem Mann gemacht werden?

Ich arbeite zu gesellschaftspolitischen Themen. Meine Arbeiten visualisieren Aspekte des Feminismus, Klimawandel und ökonomische Fragen.

Diese Themen sind auch für Männer relevant. Gerade meine Arbeiten zum Klimawandel oder zu ökonomischen Fragen, könnten auch von einem Mann gemacht werden. Meine humorvollen feministischen Statements hingegen, aufgrund meiner Perspektive, eher weniger.

5. Was wäre das erste, was du als Bundeskanzlerin veranlassen würdest?

Die gleiche Bezahlung von Frau und Mann in einem Gesetz manifestieren und die Missachtung mit hohen Geldstrafen für die Unternehmen ahnden.

6. Wie erlebst du Familienplanung als Künstlerin?

Ich bin verheiratet und kann Beruf und Eheleben gut vereinbaren. Mein Mann unterstützt meine künstlerische Karriere. Wir sind ein tolles Team. Eigene Kinder wollten wir nicht.

7.  Reagieren Männer und Frauen unterschiedlich auf deine Kunst? Wenn ja, wie?

Das kann ich so generell nicht beantworten. Sowohl Männer als auch Frauen gefällt oder missfällt meine Arbeit.

8. Was wir über dich wissen müssen…

Ich mache gern Langstreckenwanderungen. Während unserer Flitterwochen sind wir den portugiesischen Jakobsweg gewandert – 260km in 13 Tagen. Das war eine großartige Erfahrung, die uns schwach und stark zugleich gemacht hat. Außerdem gibt es bestimmte Wege, die ich unbedingt noch erleben möchte, wie z.B. den Caminito del Rey in Andalusien, Spanien. Auch möchte ich den gesamten South West Coast Path im Süden Großbritanniens gern laufen. Einen ersten Abschnitt haben mein Mann und ich schon kennengelernt.

9. Gibt es genderspezifische Aspekte deiner Kunst?

Ja, z.B. wenn ich bewusst falsch gendere, wie in meiner Arbeit BOSS*.

10. Beschreibe ein Werk von dir, das dich als Künstlerin repräsentiert…

In der Arbeit „Nebenwirkung“ (2018) sieht man mich in frontaler Ansicht mit selbstbewusstem Blick die Betrachter*innen anschauen, meine rot geschminkten Lippen scheinen leicht zu lächeln und ich trage ein weißes Sweatshirt, auf welches ich das Wort Nebenwirkung in schwarz sticken ließ. Das Werk gibt keine eindeutige Lesart vor. Der Begriff Nebenwirkung, lässt zum einen möglicherweise auf eine Krankheit von mir schließen, welche die Einnahme von Medikamenten erfordert, die leider auch schmerzliche nicht zu vermeidende Wirkungen haben. Zum anderen ist die Frau in der Kunstwelt immer noch unterrepräsentiert. Viele Museen und Sammlungen zeigen nach wie vor weltweit meist Kunstwerke von Männern. Ich als Künstlerin bin also -ob ich will oder nicht – zurzeit eine Nebenwirkung in der Kunstgeschichte.

11. Von wo aus geht dein künstlerischer Weg und wo führt er hin?

Ich gehe immer von der Gesellschaft, in der ich lebe, aus. Ich arbeite mit und an der Gesellschaft. Ich weiß daher auch nicht wohin der Weg führt. Ich reagiere auf das, was um mich herum geschieht. Die Veränderungen, die noch kommen werden, fließen in meine Arbeit ein.

Vielen Dank, liebe Claudia, dass du den FEMALE GAZE über dich und deine Arbeit für uns eingenommen hast.

Wenn Ihr mehr über Claudia Chroistoffel erfahren wollt, dann klickt auf ihre Website

Florence-Marceau-Lafleur

The odour of my work is distinctively female

Let me introduce the french artist Florence-Marceau-Lafleur:
Florence answers to twelve questions about her work in the FEMALE GAZE.
(If you wish a German translation, please scroll down.)

Florence Marceau-Lafleur, Paris, 1988
lives and works in Haarlem, the Netherlands

portrait picture - florence marceau lafleur

1. What does the Female Gaze mean to you?

There are two responses that come to mind when I read your question. One of them is the counterpart of the ‚male gaze’, that is, an objectifying way of looking at women that deprives them of any agency. In this way, I understand the female gaze as a way of looking at women as peers/equals. The other response is more personal. I have noticed that many women, in particular fellow artists, have a specific relationship with touch and vision, as if they could touch with their eyes. I remember several conversations with women in which we evoked a form of scopophilia that would not stem from the distancing between the self and the other but from the perceived union of both. Endowing viewing with the same reciprocity as touch seems quite female-specific to me. But it is also a way to look beyond women/men relations and to build a relation to the world that also involves things and our own ‚thingness‘ within it.

7 iconophilia florence marceau lafleur
iconophilia florence marceau lafleur


2. Who influenced you and your artistic work?

Of course other artists, such as Femmy Otten, Thierry de Cordier, Tacita Dean, Rebecca Horn, Juul Kraijer, Martin Assig, and many nameless artists. Writers like Hervé Guibert, Virginia Woolf, Roland Barthes, Simone Weil, Emily Dickinson, Marguerite Duras, Catherine Millet, Francis Ponge. Researchers like Vinciane Despret, Jack Hartnell, or Philippe Descola. Often I am interested in people exploring non-modern relationships between body and world.

2 studio situation with man among nature
studio situation with man among nature


3. Can the Female Gaze also be taken by a man?

If we understand it as a way of looking at women as peers/equals, yes, I think it is possible – yet rare. If we understand the female gaze in a more ‘tactile’ way, I never discussed this topic with men, while I often did with women. Perhaps men do, but discussing this with a woman might be transgressive. From his writings, Maurice Merleau-Ponty seemed to experience this reciprocal, almost tactile way of gazing at the world. Conversely, I observe the harshness of the objectifying gaze in women too – at times, I can recognise it in myself.

on touche avec les yeux draft
on touche avec les yeux draft


4. Could your (artistic) work also be done by a man?

No, I don’t think so. Virginia Woolf wrote that you should not think about your own sex while making art, but that, without thinking about it, something of your sex comes into your work, something hardly perceptible, like an odour. The odour of my work is distinctively female.

5. What would be the first thing you would do as a chancellor? Which law would you enact?

I think it is extremely important to dispose of one’s own life and body, and I am concerned about the current reactionary trend. Inscribing the right to abortion in the constitution would seem wise to me. The same goes for euthanasia.

6. How do you experience the topic of family planning as a female artist?

In the Netherlands, where I live, there is an increasing focus on the possibility for women to combine their artistic work and motherhood, but I have never had any desire to have a child myself. It is very important, as a female artist, to create a context in which you can find something – something that surprises you. This can include children or not. Motherhood can fuel one’s artistic practice, and in recent years, I have seen impressive works made by women about motherly love. It broadens my perspective because it is not an experience of life I have, but I can relate to their experience of total love and cosmic belonging. At the same time, it should not become a new norm or a form of pressure. I think it is important to respect the choice of each individual female artist.

10 eight egg shapes on my full length florence marceau lafleur
eight egg shapes on my full length florence marceau lafleur


7. Do men and women react differently to your art? If so, how?

Although my work is never properly sexual, there is a carnal aspect to it. This sometimes complicates the way it is received, by men in particular. I remember using the word ‘my body’ at an exam at the academy, and a male teacher asked me whether I was aware of the erotic connotations that my phrasing was carrying. The term, and what it referred to, seemed completely natural to me. Of course, this points to the fact that women are still perceived as commodities. Because of this, some women see a transgression in my work that appears corrupt to them. But in general, women relate to my work more easily, probably because there are many experiences we share and because these experiences are rarely symbolised.

8. What we need to know about you…

As an artist, I have always been inspired by fleeting moments of self-dissolution, especially those that are not traditionally represented in the arts (whether religious, psychedelic, or romantic). I have encountered an unusual form of contemplation as I started working as an art model to afford my studies in fine arts. To sit still for many hours a day, I triggered in myself a trance-like state, which made me experience my own body and the surroundings differently. As there was no contemplative imagery from this given place, I grew intrigued, and this became a source of inspiration in my work as an artist.

6 imagined situatio at ars aemuyla naturae florence marceau lafleur
imagined situatio at ars aemuyla naturae florence marceau lafleur


9. What does the concept of art include for you – what does it exclude?

It is not really a question I ask myself, precisely because I have often heard definitions that were primarily meant to exclude others. I prefer looking at things I feel sympathy with, at a certain moment and in a certain place. I call the translation of this sympathy ‘art’, but I don’t want to impose this definition on anyone else.

10. Are there gender-specific aspects in your art?

What inspires me most are moments of self-dissolution, so, when I am focused on my work, I am nothing and nobody. What I make is a resistance to identity, rather than an expression of it. But even then, I perceive the world through a specific perspective, which remains that of a woman.

11. Describe a work of yours that represents you as an artist…

It is not easy to single out one work: the relationships between them represent me.

5 anatomie volatile florence marceau lafleur
anatomie volatile florence marceau lafleur


12. Where does your artistic path start from and where does it lead?

Modelling for art classes had a strong influence on my work at the beginning. There, I got interested in the way contemplation affected the perception of my own body in space. How many times do I need to breathe in to create my own volume? Can I use my own skin surface as an ideal format for two-dimensional works? I pondered these questions while posing, and implemented them in my studio.

3 a single breath florence marceau lafleur
single breath florence marceau lafleur

4 a single breath florence marceau lafleur
a single breath florence marceau lafleur

By now, I am interested in linking these personal experiences with a broader art-historical context, for example, the medieval concept of metric relics. The term refers to the body measurements of Jesus Christ and the Virgin Mary. In the Christian tradition, Jesus and Mary’s bodies are assumed to be in heaven, and for this reason, there are hardly any bodily remains to be worshipped. To overcome this absence, Christians created abstract relics that represented the exact length of their bodies and body parts, sometimes associated with the measurements of their direct surroundings, such as their tombs, the cross, or the instruments of the Passion.

Discovering art historical articles on this topic enthused me, because the metric relics express a way of thinking that is similar to the one I had as a model. I am now working on small reliquaries whose insides are empty, but scaled to my own respiratory volumes. Self-proportioned books of hours are yet to come…

8 a book of hours florence marceau lafleur
a book of hours florence marceau lafleur

Merci Florence for partaking the FEMALE GAZE on your mind and work.

To find out more about Florence Marceau-Lafleur: Take a look on her Website.

And here comes the German translation:

1. Was bedeutet der weibliche Blick für dich?

Beim Lesen deiner Frage, kommen mir zwei Antworten in den Sinn. Eine davon ist das Gegenstück zum „männlichen Blick“, das heißt eine objektivierende Sichtweise auf Frauen, die ihnen jedes Alter entzieht. In diesem Sinne verstehe ich den weiblichen Blick als eine Möglichkeit, Frauen als Gleichgesinnte zu betrachten. Die andere Antwort ist persönlicher Natur. Mir ist aufgefallen, dass viele Frauen, insbesondere Künstlerkolleginnen, eine besondere Beziehung zur Berührung und zum Sehen haben, als ob sie mit ihren Augen berühren könnten. Ich erinnere mich an mehrere Gespräche mit Frauen, in denen wir eine Form der Skopophilie (Schaulust/Voyeurismus) hervorbeschworen, die nicht aus der Distanz zwischen dem Selbst und dem Anderen, sondern auf der wahrgenommenen Vereinigung beider resultiert. Das Betrachten der gleichen Gegenseitigkeit auszustatten wie die Berührung, scheint mir ziemlich frauenspezifisch. Aber es ist auch ein Weg, über die Beziehungen zwischen Frauen und Männern hinauszublicken und eine Beziehung zur Welt aufzubauen, die auch die Dinge und unser eigenes „Ding-Sein“ in ihr einschließt…

„Florence-Marceau-Lafleur“ weiterlesen

Corso – Kunst und Pop

Q Was ist das eigentlich, der weibliche Blick?

Diese Frage wird mir oft gestellt. Und meistens schließen sich weitere Fragen an: Kann man das überhaupt unterscheiden?
Schauen Frauen anders als Männer?
Darum geht es nicht!
Sondern:

A Der weibliche Blick ist eine Haltung!

Female Gaze on Air!

Am 02.02.22 führte der Moderator Adalbert Siniawski für den
Podcast Corso – Kunst und Pop des Deutschlandfunk ein Interview mit mir.

Q Was ist das eigentlich, der weibliche Blick?

Diese Frage wird mir oft gestellt. Und meistens schließen sich weitere Fragen an: Kann man das überhaupt unterscheiden?
Schauen Frauen anders als Männer?
Darum geht es nicht!
Sondern:

A Der weibliche Blick ist eine Haltung!

Vielleicht wird es Zeit mit Legenden aufzuräumen:

1. Der Female Gaze berichtet ausschließlich über Künstlerinnen

Nein. Ich besuche alle Geschlechter: weiblich, divers, männlich. Da ich selbst eine Frau bin und diesen Blog schreibe, ist mein Blick auf die Kunst und Kultur weiblich.

2. Der Female Gaze ist Frauen vorbehalten.

Nein. Auch Männer können den Female Gaze einnehmen. Da wir sowohl weibliche, als auch männliche Anteile in uns tragen, so können wir infolgedessen die Position des anderen verstehen und einnehmen.

3. Der Female Gaze ist biologisch begründet

Nein. Der Female Gaze ist nicht der schlichte Blick einer komplexen Frau. Es ist keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit genderspezifischen Themen, sondern in meinem Verständnis ist der Female Gaze eine ästhetische Suche.
Wenn ich Künstler*innen in ihren Ateliers begegne, mich auf Ausstellungen mit unterschiedlichen Themen und Werken auseinandersetze, frage ich mich nach der Essenz und der Wirkung der Werke und spüre dem Nachhall der Begegnung nach.
Ich transportiere die Eindrücke, die ich gewonnen, das Fazit, das ich gezogen habe über den Blog ins Netz und lasse damit andere an meinem persönlichem Erlebnis teilhaben.
Jeder Mensch wird von einer individuellen Suche in seiner ästhetischen Auseinandersetzung angetrieben. Dem einen geht es um das Material, der anderen um die Farbe. Der nächste wiederum schätzt das Können und die Gewitztheit der Künstler*innen, wohingegen die andere den Marktwert zur Grundlage nimmt. Und so fort.
Für mich ist die weibliche Perspektive wichtig.
Ein Spielfeld, das wir selber gestalten und erforschen können.
Neuland.

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© Ewa Finn

Q Könnte das Werk (in diesem Fall von Ewa Finn, siehe Katalog)  auch von einem Cis-mann kommen? Oder sind Männer auf Gedeih und Verderb gefangen in dem was sie sind?

A Auf keinen Fall! Ich hoffe, dass sich Männer dem Female Gaze anschließen.

Hier könnt Ihr
Female Gaze in der Kunst: „Der weibliche Blick ist eine Haltung“
nachhören.

Der Female Gaze auf Maria und Carmen

Der Female Gaze bezeichnet eine Haltung, die sich konträr zum Male Gaze stellt. Der Begriff des Male Gaze wurde in den 70er Jahren in der Film- und Werbeindustrie bekannt. Gemeint ist, dass in Filmen oftmals Frauen nicht als Hauptdarstellerinnen agierten, sondern das unterstützende Beiwerk des Mannes waren.

Im Juni 2022 erreichte mich eine besondere Anfrage. Die Dramaturgin Sabrina Zwach fragte, ob ich einen Female Gaze auf die Marienstatue für die Carmen-Inszenierung in der Hamburger Staatsoper werfen wolle, die der Regisseur Herbert Fritsch in der Oper präsentieren würde.
Da ich ein großes Herz für die Heilige Maria habe (und Devotionalien, Reliquien, sowie alles Sakrale schätze), sagte ich sehr gerne zu.
Daraus ist ein Interview/Essay geworden, der auch mir interessante Einblicke in die Bedeutung der Marienverehrung im modernen Kontext verschaffte.
Veröffentlicht wurde der Text im Programmheft der Oper:

carmen-hamburger-staatsoper-female-gaze-6
© Silke Tobeler

Lest selbst:

Der Female Gaze auf Maria und Carmen

Unter dem Aspekt des Female Gaze interessiert es mich sehr, von Ihnen zu erfahren, was ein weiblicher Blick im Kontext der Kunstaneignung ist oder sein kann und wie weibliche Figuren angeblickt werden.

Der Female Gaze bezeichnet eine Haltung, die sich konträr zum Male Gaze stellt. Der Begriff des Male Gaze wurde in den 70er Jahren in der Film- und Werbeindustrie bekannt. Gemeint ist, dass in Filmen oftmals Frauen nicht als Hauptdarstellerinnen agierten, sondern das unterstützende Beiwerk des Mannes waren. Auch wenn sich in der Autowerbung eine leicht bekleidete Frau auf der Kühlerhaube räkelte, war nicht sie die umworbene Kundin; vielmehr sollte der kaufende Mann angesprochen werden.
Und in der Kunst verhielt es sich lange Zeit nicht anders. Nicht umsonst stellten die Guerilla Girls die Frage, ob Frauen nur dann ins Museum gelangen, wenn sie nackt sind.
Meret Oppenheim war als schöne Nackte auf der Fotografie Man Ray´s bekannter, als für ihr erst heutzutage hochgelobtes, eigenes künstlerisches Werk. Obwohl sie schon früh als Kreative Teil des Kreises der Pariser Surrealisten war.
Louise Bourgeois, die ebenso fast ein ganzes Jahrhundert als Kunstwirkende gearbeitet hatte, erhielt erst im hohen Alter dafür internationale Anerkennung.
Gerade Louise Bourgeois gab mit ihren Arbeiten einen Blick auf weibliche Themen wieder, den vielleicht nicht jeder sehen wollte. Ihre monumentale Spinnenfiguren repräsentieren die Ambivalenz einer Mütterlichkeit, welche den Nachwuchs nicht nur versorgen, sondern auch verspeisen könnte.
Künstlerinnen spiegelten zudem in ihrer Performancekunst den entwürdigenden Aspekt des Betrachtetwerdens. In „Rhythm 0“ ließ sich Marina Abramović von ihrem Publikum mit unterschiedlichen Gegenständen (von der Feder, über das Messer, bis zur Pistole) berühren oder gar verletzen. Der Betrachter wurde so von der Künstlerin aus dem Schatten der vermeintlichen voyeuristischen Passivität in das aggressive Handeln gegen das ,Objekt‘ geführt.
Mit dem Female Gaze erobern sich Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper und ihr Leben zurück. Damit schaffen sie eine neue Perspektive auf ihr Werk und die darin enthaltenen ästhetischen und gesellschaftlichen Themen.

Mich interessiert die Projektionsfläche, die weibliche Figuren speziell im kirchlich-religiösen Kontext bieten?

Drei Frauen spielen eine entscheidende Rolle in der christlichen Lehre.

  1. Eva, im Alten Testament, die Adam verführte und damit die ganze Menschheit zu Fall brachte.
  2. Maria, die Mutter Gottes im Neuen Testament, die jungfräulich Gott selbst empfing und zur Welt brachte.

Maria Magdalena, die eine „gefallene Frau“ war, aber von Jesus Christus selbst als Jüngerin in seinen Kreis mitaufgenommen wurde. Sie war die erste Frau/der erste Mensch, der Jesus nach seiner Auferstehung begegnete. Allerdings warnt der Auferstandene Maria Magdalena davor, ihn zu berühren. Wohingegen der ungläubige Thomas seine Finger in Christi Wunden legen darf.
Als Projektionsfläche bewegen sich weibliche Figuren (in der christlichen Religion) einerseits zwischen dem jungfräuliches Sehnsuchtswesen, verkörpert in der Mutter Gottes, die den Messias durch den Heiligen Geist empfängt. Und andererseits als Verführerin Eva, die die Unschuld, beziehungsweise Reinheit des Mannes gefährdet, sowie Maria Magdalena, die den Menschen Jesus zwar salben, aber den auferstandenen Heiland nicht berühren darf.Zudem gilt die christliche Gemeinde, beziehungsweise Kirche, laut der Paulusbriefe, als die Braut Christi, vereint als ein Leib. Paulus fügt hinzu, dass Christus das Haupt, die Gemeinde der Leib sei und leitet daraus ab, dass in der Ehe der Mann das Haupt und die Frau der Leib wäre, was die patriarchalen Voraussetzungen des christlichen Glaubens zementiert.

Weiter würde ich gerne wissen, was einzigartig an der Maria-Darstellung ist? 

Maria ist eine Figur, die den Kreislauf des Lebens widerspiegelt.
Als Mutter Gottes sieht man sie mit dem Jesuskind, in inniger Verbindung, sie hält Gott in ihren Armen, ist die Gottesgebärerin.
In den Pietà-Darstellungen wird Maria zur Mater Dolorosa, als Schmerzensmutter gezeigt. Sie bettet den Leichnam Christi auf ihrem Schoß.
Somit begleitet die Mutter Gottes ihren Sohn in und aus der Welt. Leben und Tod liegen in ihrem Schoß.
Desweiteren wird gerade in der östlichen Kirche Maria selbst als Himmelsgöttin dargestellt. Häufige Attribute sind der
Kranz mit zwölf Sternen um ihr Haupt und die Mondsichel zu ihren Füßen. Als Himmelskönigin kann sie auch ein Zepter und eine Erd- bzw. Weltkugel halten.

Gibt es einen Unterschied zwischen Maria und Madonna?

Ein Bildnis wird meist dann als Madonnenbild oder -figur bezeichnet, wenn die Gottesmutter mit dem Jesuskind gezeigt wird. Ein Marienbildnis kann sowohl Maria mit dem Kind im Arm, als auch als eine allein für sich stehende Heilige darstellen.

Gibt es andere vergleichbare Figuren im kirchlichen Kontext?

Im römisch-katholischen Kontext gilt Maria als eine Heilige, zu der gebetet werden kann. Ihre Statuen und Bilder sind meist mit Reliquien ausgestattet, die dem Glauben nach, Wunder bewirken können. Ein kompliziertes Procedere überprüft die Authentizität dieser Wunder. Nicht nur Maria ist eine der Heiligen, die bei Fürbitten in der Not helfen kann. Über die letzten zweitausend Jahre sind unzählige andere Fürsprecher*innen, ebenso mit wunderwirksamen

Reliquien ausgestattet, außerbiblisch dazugekommen. Frauen und auch Männer, die als Märtyrer gelitten, auf wundersame Weise Menschen geholfen, oder Ungläubige bekehrt haben sollen. Um nur einige zu nennen: Ursula von Köln mit ihren elftausend Jungfrauen, Franz von Assisi, der mit Tieren sprach und Bernadette de Lourdes, der Maria erschien. Bei dieser Erscheinung fand Bernadette eine Wasserquelle, die bis heute Menschen heilen soll.

Meine persönliche Favoritin ist die Karmeliternonne: Teresa von Avila, die so mit dem Heiligen Geist erfüllt gewesen sein soll, dass sie unter der Decke schwebte. Neun Monate nach Teresa von Avilas Tod wurden die irdischen Überreste der Heiligen hervorgeholt. Ihr Leichnam war jungfräulicher als der der Mutter Gottes. Keine Verwesung und sie duftete nach Rosen. Man verteilte die Überreste als Reliquie auf viele Kirchen. Der spanische Diktator Franco nahm z.B. ihre Hand an sich, bewahrte sie an seinem Bett auf und starb mit ihr. Die Nonnen holten sich die Hand nach Francos Tod zurück. Bis heute wird diese in einem silbernen, reich verzierten Handschuh in einer Kirche in Ronda/Andalusien aufbewahrt.Was heißt die Omnipräsenz von Maria (am Straßenrand, in der Kirche, an Pilgerstätten, im Kontext von Schmuck und Devotionalien) für weibliche Identitätsbildung unter Christinnen?

Die Götter und Göttinnen der sogenannten Heiden, denen das Christentum meist aufgedrängt wurden, haben bekannterweise

ihren eigenen Weg in die vorgegebene Frömmigkeit gefunden. Dazu gehört im ganz großen Maße die Marienverehrung. Leider wurde die Stärke, die diese Frauen in Form von Fruchtbarkeit, als erfolgreiche Jägerinnen und Inbegriff der Weisheit, abgesprochen. Angebetet wurde fortan nur die Empfängnis der Mutter Gottes. Diese wurde nicht in ihrer Opulenz gefeiert, sondern keusch und jungfräulich inszeniert.

In Folge dessen werden bis heute Mädchen zu ihrem zehnten oder elften Lebensjahr als weißgekleidete Bräute zur Erstkommunion an den Altar geführt, wo sie die Hostie, den Leib Christi, empfangen. Weiß als Farbe der Unschuld gibt diesen Mädchen vor, dass sie sich vor der Sünde bewahren müssen. Wenn es um die Identitätsbildung geht, so wird in allen Darstellungen Marias Reinheit, der nachzueifern ist, vorgegeben. Desweiteren wird Maria stets ernsthaft und leidend gezeigt. Ihre Statuen bluten und weinen. Gerade das Phänomen der Stigmatisierung, (Auftreten von Wunden am Körper eines lebenden Menschen) erleb(t)en vor allem Frauen. Wenn man dies psychologisch interpretiert, so könnte man meinen, dass die Stigmatisierung erstens der Frau eine Aufmerksamkeit geben kann, die ihr sonst in der patriarchalen Welt nicht zuteil wird und zweitens unterstreicht die per se „gefallene Frau“ mit dem offensichtlichen Leiden ihre Reinheit.

All die Bildnisse, Rosenkränze, Medaillons mit dem Abbild der Mutter Gottes werden in der Regel als Schutzfunktion und für die Fürbitte genutzt. Der Weiblichkeit selbst wird damit nicht gehuldigt.

Hat die Mariendarstellung für unsere heutige Bildwelt noch Relevanz?

In den 80er Jahren wurden Rosenkränze, Mariendarstellungen, Kreuze (umgedreht, aber auch „richtigherum“) vor allem in der Darkwaveszene als Ausdruck düsterer Romantik genutzt.

Die Popsängerin Madonna (schon der Name ist Programm) trieb das Spiel auf die Spitze, indem sie sich in Dessous gekleidet und mit Rosenkränzen behangen, in ihren Videos auf dem Bett räkelt und von dem Genuss sich wie eine Jungfrau zu fühlen, singt. Lenny Kravitz trug Rosenkränze und inszenierte sich als ein sexy Jesus. In den 90er Jahren mischten sich Mariendarstellungen mit Bollywoodästhetik und bis in die Nullerjahre hinein wurden ikonografische Marienbilder auf T-Shirts und Kleidern getragen. Schon lange war es kein Tabubruch mehr, da die Kirche ihren Einfluss in der westlichen Welt stark eingebüßt hat.

Mir erscheint es so, als wenn in den letzten zwanzig Jahren weniger Mariendarstellungen im modernen Kontext genutzt werden. Dennoch fallen mir zwei sehr unterschiedliche aktuelle Marienreferenzen ein: 1. Die „Bitch Bibel“ von Katja Krasavice und die Graphic Novel „I´m every Woman“ von Liv Strömquist. Bei der „Bitch Bibel“ handelt es sich um die Autobiografie der Sex-Youtuberin. Liv Strömquist setzt sich in ihrem Sachbuch mit dem Mythos des männlichen Genies auseinander, indem sie die Geschichte aus weiblicher Perspektive umschreibt.

Können Sie sich vorstellen, warum der Regisseur und Bühnenbildner Herbert Fritsch der CARMEN eine MARIA beistellt?

Carmen steht für eine freiheitsliebende, verführerische Frau. Ganz das Gegenteil zu dem, was die Figur Maria ausmacht. Maria gilt als Fürsprecherin für die Menschen.

Das Ave-Maria Gebet: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes“ kann auf die Handlung der Oper hinweisen, bei der Carmen im letzten Akt von José ermordet wird. Die weibliche Kraft, mit der Carmen die Männer verrückt macht, wird von Marias Fürsprache ausgeglichen.

Ich würde mir wünschen, dass Maria am Schluss eine Predigt hält, in der Carmen rehabilitiert und die Freiheitsliebe als natürlicher und nachzueifernder Wunsch propagiert wird.

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© Silke Tobeler

Vom scheinbaren Replikat zur Hommage

Ich finde, es gibt zu wenige Replikate in der Kunst. Jede*r will etwas neu machen – der oder die erst*e sein.
Dabei kann mir keine*r erzählen, dass er/sie immer das Rad neu erfunden hat.

Ich finde, es gibt zu wenige Replikate in der Kunst. Jede*r will etwas neu machen – der oder die erst*e sein.
Dabei kann mir keine*r erzählen, dass er/sie immer das Rad neu erfunden hat.
Meine Erfahrung sagt mir, dass Menschen über Imitation lernen. Man macht nach. Menschen beobachteten Vögel, die mit ihren Flügeln flatterten, erkannten, dass man wohl eine Spannweite zum Fliegen braucht und dementsprechend haben sie Flugzeuge gebaut.

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© Mehdi Sepehri – Unsplash

Warum sollte das in der Kunst oder Literatur anders sein?
Ein*e Künstler*in, eine Literat*in beginnt sich für die Materie zu begeistern, in dem sie erst das sieht, oder liest, was sie ergreift, dann entsteht die kreative Unruhe und man beginnt zu malen, bildhauen, fotografieren und/oder zu schreiben. Es dauert dann eine Weile, bis man sich vom Vorbild löst und etwas eigenes entwickelt. Was spricht dagegen, ein Kunstwerk eins zu eins nachzubauen oder noch interessanter: zu verfremden?

Musiker*innen pflegen schon lange diese Tradition. Nichts anderes ist eine Coverversion eines Songs. Gerade auf Konzerten entsteht an dieser Stelle ein erhebender Moment. Der/die Künstler*in kniet musikalisch vor seinem/ihren Vorbild ihrer/seiner Inspiration und interpretiert das Stück neu. Einer meiner Favoriten ist der Song „Love Will Tear Us Apart“ von Joy Divison, interpretiert von den Swans. Mir gefällt diese Version (ehrlich gesagt) noch besser, als das Original.
In diesem Moment entsteht eine Hommage. Und da ich überzeugter Fan von vielem bin, freue ich mich auch, wenn ich so etwas in der Kunst entdecke.

Hier kommt DOROTHEE GOLZ ins Spiel, die MERET OPPENHEIMs legendäre Felltasse mittels Glasfaser neu interpretiert hat.

Hier das Vorbild FRÜHSTÜCK IM PELZ

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© Silke Tobeler

Meret Oppenheim griff für ihre Werke Alltagssituationen auf, wie z. B. im Werk „Frühstück im Pelz“, bei dem sie den kalt gewordenen Kaffee zum Sujet gemacht hat. Das Werk wurde zu einem der Leitwerke des Surrealismus. Déjeuner en fourrure („Frühstück im Pelz“). 1936, Museum of Modern Art, New York.
Auf diesem Foto seht ihr ein Replikat des Werkes, das mir geschenkt wurde.

Und hier Dorothee Golz:

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© Tim Tobeler

DIESE TASSE IST EINE TASSE, KEINE TASSE
Schon der Titel ist eine Hommage: Ceci n’est pas une pipe– „Das ist keine Pfeife“ nach einem Werk von Renée Magritte aus dem Jahr 1929. Auch ein Surrealist.

Dorothee Golz hat mit ihrer Hommage ein tolles eigenes Werk geschaffen.

Ich bin mir sicher: Meret Oppenheim würde das freuen!

Info (frei nach Wikipedia)
Dorothee Golz *1960 ist eine deutsch-österreiche Künstlerin. Internationale Bekanntheit erreichte Golz 1997 durch die Teilnahme an der documenta X in Kassel, auf der sie die Skulptur Hohlwelt (1996) zeigte. Neben Skulpturen und Kleinplastiken sind Fotografie und Zeichnung ihre wichtigsten Ausdrucksmedien

Meret Oppenheim *1913 – 1985 war eine in Deutschland geborene schweizerische Künstlerin und Lyrikerin. Oppenheim hat die Rolle der Frau als Muse ebenso reflektiert wie das Weibliche im Werk von männlichen Kunstschaffenden.

In einem Gespräch von 1972 äusserte Oppenheim die Devise „Don’t cry, work“. Der deutsche Schriftsteller Rainald Goetz verwendete das Zitat 1983 als Untertitel seines Romandebüts Irre, was es zum geflügelten Wort werden liess.

Auch eine Hommage…

*TOPIE – Performance – Eine Alternative zur schlichten Lesung

Umso mehr, wünschen sich die meisten Autor*innen, dass ihr Text sichtbar – greifbar wird. Das zu vollziehen ist schwieriger, als zumindest ich es mir gedacht habe.

Bücher und Texte zu schreiben ist eine einsame Sache. Selbst wenn es eine Kollaboration gibt, so sind oft Stunden darin investiert, alleine am Schreibtisch zu sitzen und das, was durch den Kopf und das Herz geht, in die Tastatur zu hacken. Das ist nicht weiter schlimm. Ich kann es auch genießen. Viele Jobs werden so vollzogen.

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© Glenn Carstens Peters

Umso mehr, wünschen sich die meisten Autor*innen, dass ihr Text sichtbar – greifbar wird. Das zu vollziehen ist schwieriger, als zumindest ich es mir gedacht habe.

Wenn jemand malt, können alle, die über gesunde Augen verfügen, das Bild sehen. Man hat ein Ergebnis. Ein Musikstück zu komponieren, führt dazu, dass man es anhören kann.
Beim Schreiben, verlangt man dem anderen viel Aufmerksamkeit ab, um das Ergebnis auf sich wirken zu lassen. Lesen erscheint mir mehr Arbeit für den Rezipienten zu sein, als bloßes Schauen oder Zuhören.

Und doch wird für die meisten Schreibenden ihre Arbeit erst dann wirklich, wenn es ein gedrucktes Buch gibt. Oder bei einer Lesung der Text hörbar wird.

Als Autorin denke ich oft darüber nach, wie es den Zuhörenden geht, wenn ich vor ihnen lese. Denn auch ich, als Publikum in einer Lesung, merke hin und wieder, dass meine Aufmerksamkeit flöten geht. Das kann man dem Publikum nicht verdenken. Aus diesem Grund sind unter anderem Poetry Slams entstanden.

Aber das kann ja nicht das einzige Format sein, hat sich Kathrin Assauer vielleicht gedacht. Kathrin hat mit anderen den Kunst-Off-Space: GEH8 in Dresden initiiert und ermöglicht dort Künstler*innen unterschiedlicher Disziplinen ihrer Kreativität nachzugehen und diese zu präsentieren.

Für das Jahr 2023 entwickelte sie das Dreiteilige Projekt:

*TOPIE – Space is the Case – Publikation – Performance – Ausstellung

Vierzehn Autor*innen aus ganz Deutschland und aus dem Iran verfassten Texte in Form von Kurzgeschichten, Gedichten, Traktaten und Auszügen aus Romanen, die für die Anthologie bearbeitet und erweitert wurden.

Daraus ist ein großartiges Buch entstanden

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…mit Zeichnungen von André Tempel, der auch das Bühnenbild für – und hier kommt die zweite Säule des Projekts – die Performance gestaltete.

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Zudem schrieb Kathrin Assauer aus all den Texten ein Libretto und entwickelte mit den Komponisten Alberto Arroyo und Samir TimajChi eine Komposition.

Dirigiert und einstudiert von Olaf Katzer, werden Passagen des Librettos überlagernd gesungen und gesprochen. So wachsen die Texte ineinander und werden eins, unterbrochen durch die kurzen „konventionellen Lesungen“ der einzelnen Autor/-innen.

Kathrin Assauer

Wir haben mit dem Ensemble Auditiv Vokal Dresden und dem Komponisten/Dirigenten Alberto Arroyo geprobt

Uns über das Buch gefreut

Und auf diesen Abend hingearbeitet…

Die Autorin, Intitatorin, Librettoschreiberin, Buchgestalterin und Kuratorin: Kathrin Assauer applaudiert und Mitglieder des Ensembles Auditiv Vokal Dresden geben den Texten ihre Stimme vor dem Bühnenbild von André Tempel.

Auf jeden Fall haben wir am 22. September 2023 vierzehn unterschiedliche Texte für Ohren, Herz, Hirn und Bauch hör-, sicht- und fühlbar gemacht.
Alles vibrierte…

Dieses dreiteilige Format, insbesondere die performative Lesung, soll als Format etabliert und weitergeführt werden.

…schreibt Kathrin Assauer als RE-SONANZ zum Ende des Buches *TOPIE.
Das wäre auch mein Wunsch. Mehr Möglichkeiten zu erforschen, um Texten eine Bühne zu geben.

…also mache ich mich auf den Weg zu meinem einsamen Schreibtisch, um neue Texte zu entwickeln, die ihren Weg nach außen suchen…

Vielen Dank, liebe Kathrin Assauer, für die Einladung Teil deines Projektes zu sein!
Und Merci Dorothee Schröder, Martina Lenz, Grisella Kreiterling, Marc Matthies, Astrid Stähler, Anja Schwennsen und Ruth G. Gross für die Fotos und, dass wir „Schreibbuddies“ sind.
Terima Kasih, lieber Tim Tobeler, für die Fotos… (as always…)

FEMALE GAZE goes funky

Ich mag genau diese Unberechenbarkeit und diese Anarchie, die in uns Frauen steckt. Mit meiner Arbeit möchte ich dem Weiblichen mehr Sichtbarkeit verschaffen und Freude und Stolz an der eigenen Sinnlichkeit vermitteln.

Oh lá lá, die funky-Jugendreporterin Sophie Bley hat ein Interview mit mir über den Female Gaze geführt…
Lest gleich hier, was ich auf die klugen Fragen der funky-Jugendreporterin Sophie Bley antworte
(c) Silke Tobeler

Silke Tobeler ist Autorin und wirft in ihrem Blog „Female Gaze“ einen weiblichen Blick auf Kunst, Literatur, Film und Ausstellungen. Inspiriert durch die weibliche Wahrnehmung von Ästhetik und auf der Suche nach revolutionärer Kunst, lädt sie zum Dialog ein. Welche Bedeutung hat der „Female Gaze“ in politischen und sozialen Zusammenhängen? Möchte dieser Blick den Spieß lediglich umdrehen und Männer objektifizieren? Über diese Fragen spricht die Autorin im Interview.
(Vorstellung: Sophie Bley
Fragen: Sophie Bley
Antworten: Silke Tobeler)

Liebe Silke, der Begriff „Female Gaze“ wird unterschiedlich interpretiert. Was bedeutet er für dich und welche Rolle spielt er in deiner Arbeit als Autorin und Kunstfreundin?
Für mich ist der „Female Gaze“ eine Haltung. Es geht darum, dass unsere Welt so gut wie immer aus der Perspektive der Männer dargestellt wird. Mein Anliegen ist es, das Ganze zu erweitern, um dem weiblichen Blick eine höhere Relevanz in unserer Gesellschaft zu schenken. An vielen Punkten leben wir bereits in einer gleichberechtigten Gesellschaft, aber sie ist aus dem gemacht, was Männer lange vorgegeben haben. Mir ist klargeworden, dass Frauen in der Kunst durchaus ein beliebtes Motiv sind, sie selbst aber selten die Schaffenden sind. Der Begriff „Female Gaze“ ist für mich eine Art Überschrift meiner eigenen Arbeit als Autorin und Bloggerin, mit der ich auf die weibliche Position und den weiblichen Blick aufmerksam machen möchte.

Was hat dich dazu inspiriert, deinen Blog „Female Gaze“ ins Leben zu rufen?
Mich hat schon immer interessiert, wie Künstlerinnen und Künstler arbeiten und wie Kunst entsteht. Die Idee hinter dem Blog war, dem Ganzen eine Bühne zu geben. Ich war zwar schon immer Feministin, aber lange auch der Auffassung, dass wir bereits in einer relativ gleichberechtigten Welt leben. Erst als ich Kinder bekommen habe und mein Leben plötzlich wirkte, als wäre ich in die 50er-Jahre zurückversetzt worden, veränderte sich mein Blick. Gebunden an die Erziehung meiner Kinder und den Haushalt wurde mir klar, dass die Welt zwar durch unsere Gesetzeslage emanzipiert wirkt, die Umsetzung von Gleichberechtigung jedoch noch nicht so weit ist, wie ich dachte. Diese Feststellung hat mich motiviert, mich in meinem Blog für Emanzipation stark zu machen. Der Ted Talk von Joey Soloway „The Female Gaze“ hat mich inspiriert, meinen Blog auch so zu nennen.

Mit meiner Arbeit möchte ich dem Weiblichen mehr Sichtbarkeit verschaffen und Freude und Stolz an der eigenen Sinnlichkeit vermitteln.

Du sagst von dir selbst, dass du mit einem weiblichen Blick auf Kunst, Kultur, Literatur, Medien und Unternehmen aller Art schaust. Was begeistert dich an der weiblichen Perspektive?
Ich habe mich lange gefragt, wie überhaupt ein Patriarchat entstehen kann, das die Hälfte der Menschheit ausschließt. Eine Theorie, auf die ich öfter gestoßen bin, ist, dass die Fähigkeit der Frauen, Leben zu schenken, bei den Menschen Angst auslöst, die das nicht tun können. Angst hat häufig dominantes und kontrollierendes Verhalten zur Folge, sodass Frauen den Stempel aufgedrückt bekommen haben, sie seien unberechenbar und anarchisch. Ich mag genau diese Unberechenbarkeit und diese Anarchie, die in uns Frauen steckt. Mit meiner Arbeit möchte ich dem Weiblichen mehr Sichtbarkeit verschaffen und Freude und Stolz an der eigenen Sinnlichkeit vermitteln. Mein Ziel ist es auch, zu untersuchen, was es braucht, um sich aus den zerstörerischen Elementen unserer Gesellschaft zu lösen, die auf Ausbeutung, Ausgrenzung, Profit und Gier ausgerichtet ist. Denn Frauen hatten in der Geschichte kaum Möglichkeiten dazu.

Wie wir die Gesellschaft sehen, hat viel mit Bildern zu tun, die uns im Alltag begegnen. Warum ist der weibliche Blick in diesem Zusammenhang wichtig?
Frauen verfügen erst seit rund hundert Jahren über grundlegende Rechte, wie beispielsweise wählen oder studieren zu können. In der Kunstbranche mussten sich Frauen zwischen einem Leben als Künstlerin oder Mutter entscheiden. Der „Female Gaze“ möchte aus dieser Norm ausbrechen und Lebensgestaltungen aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Außerdem hat der „Female Gaze“ Relevanz in Bereichen der Städteplanung, Sicherheitsvorkehrungen oder Gesundheit. Medikamente sind in ihrer Dosis in der Regel auf Männer ausgerichtet und Anschnallgurte in Autos sind für einen typisch männlichen Körperbau konzipiert. Der „Female Gaze“ kann hier neue Lösungsansätze finden und die Bedürfnisse aller Menschen genderkonform in gesellschaftliche Entscheidungen und Lebensgestaltungen miteinbeziehen.

Welche Kritik übst du an dem „Male Gaze“?
Ich kritisiere ganz klar die Arroganz und die Egozentrik des „Male Gaze“. Es gibt so viele verschiedene Menschen auf dieser Welt mit einzigartigen Lebensgeschichten, denen der „Male Gaze“ eine einzige Perspektive aufdrückt. Letztendlich spielt hier vor allem der Kapitalismus eine Rolle, an den das Patriarchat eng gekoppelt ist. Denn Männer fürchten in diesem Zusammenhang Macht und Möglichkeiten zu verlieren. Der weibliche Blick möchte jedoch niemanden in seinen oder ihren Rechten einschränken, sondern gemeinsam an Lösungen arbeiten, wie alle Menschen gleichberechtigt leben können – und dazu gehören natürlich auch Männer.

Diversität nimmt in der Kunst immer mehr Platz ein.

Der Ansatz des „Female Gaze“ ist es also, das Dogma „Male Gaze“ zu sprengen und in der Gesellschaft mehr Diversität zu zeigen. Siehst du in der Kunst, in den Medien und in unserer gesellschaftlichen Auffassung von Ästhetik positive Entwicklungen in diese Richtung?
Diversität nimmt in der Kunst immer mehr Platz ein. In Museen und Ausstellungen sind zunehmend Kunstwerke weiblicher Künstlerinnen zu finden, queere Personen oder Menschen mit Migrationshintergrund sind für Film- und Kunstpreisverleihungen nominiert und Diversität rückt immer mehr in den Fokus. Darüber hinaus hat sich die Sprache rund um dieses Thema weiterentwickelt. Es wird differenzierter über die weibliche Sexualität oder Menstruation gesprochen, Probleme wie die Gender-Pay-Gap oder Care-Arbeit werden benannt und kritisiert. Auf diese positiven Veränderungen müssen allerdings auch Taten folgen.

Kann der „Female Gaze“ in Kunst und Medien auch von Männern eingenommen werden?
Ich bin davon überzeugt, dass alle Menschen vom „Female Gaze“ profitieren können – auch Männer. Dem Anliegen, das Dogma des „Male Gaze“ zu erweitern, kann jeder Mensch nachgehen. Jeder Schritt in diese Richtung ist eine Bereicherung und jeder Mensch, unabhängig vom Geschlecht, von der Sexualität oder der Herkunft, kann sich dafür stark machen.

Welche Bedeutung hat der „Female Gaze“ deiner Meinung nach für junge Generationen?
Um die Bedeutung des „Female Gaze“ zu verstehen, ist es hilfreich, sich mit der dritten Welle der Frauenbewegung auseinanderzusetzten. Diese ist im Gegensatz zu früheren Frauenbewegungen deutlich offener und setzt sich für mehr Selbstbestimmung und Diversität ein. Feminismus kann unterschiedlich interpretiert werden. Der „Female Gaze“ möchte jedoch betonen, dass Menschen nicht vorgeschrieben werden sollte, wie sie auszusehen haben oder wie sie ihre Sexualität ausleben sollten. Ich möchte jungen Menschen mitgeben, dass sie wachsam bleiben und weiterhin für ihre Rechte kämpfen, denn diese sind immer noch keine Selbstverständlichkeit.

Hast du als Expertin für unsere Leserinnen und Leser Empfehlungen aus Kunst, Literatur oder Film, die eine weibliche Perspektive einnehmen, bzw. den Female Gaze widerspiegeln?
Hier ein paar Empfehlungen für die Leserinnen und Leser, die am weiblichen Blick in Kunst, Film und Medien interessiert sind:

  • „Der Ursprung der Welt“ von Liv Strömquist: Ein Sachbuch über die Vulva. In diesem Buch geht es von Frauen in der Bibel über Freud und unbeholfenen Biologieunterricht bis hin zu aktuellen Tamponwerbungen.
  • „Transparent“ von Joey Soloway: Eine Serie, die die großen Fragen der Identitäten Mann, Frau und Divers im Familienkontext abbildet.
  • „Sex Education“ auf Netflix: Eine Serie, die den „Female Gaze“ aus vielen Perspektiven von Teenagern, Müttern, Vätern, Männern, Frauen und queeren Personen darstellt.
  • Die Künstlerin Frida Kahlo: Sie war eine der ersten Künstlerinnen und Künstler, die ihre eigene Geschichte und ihr eigenes Leid in den Vordergrund ihrer Kunst gestellt hat.
  • Die Künstlerin Meret Oppenheim: Eine Schweizer Künstlerin, die in ihrer Kunst viel mit Geschlechterrollen gespielt hat.
  • Die Arte-Dokureihe „Naked“: Hier geht es um unterschiedliche patriarchale Verhältnisse in der Kunst und in Gesellschaften verschiedener Länder.